ARGENTINIEN

Tödlicher Schwindel mit Chlordioxid: Anklage gegen Andreas Kalcker erhoben

 Andreas Kalcker erklärt in einem Video, wie man Chlordioxid selbst machen kann. Das Video steht auf seiner Website. Screenshot: MedWatch.de
Andreas Kalcker erklärt in einem Video, wie man Chlordioxid selbst machen kann. Das Video steht auf seiner Website. Screenshot: MedWatch.de

09.09.2021, von Sigrid März. Aktualisiert 22.08.2022 12:46,

 

In der Verbindung mit Todesfällen nach der Einnahme des Bleichmittels Chlordioxid hat die Staatsanwaltschaft in Argentinien nun Anklage gegen Andreas Kalcker sowie weitere Personen erhoben. Im Falle einer Verurteilung drohen dem Deutschen bis zu 25 Jahre Haft.

 

 

Vor wenigen Wochen berichtete MedWatch über Andreas Kalcker und seine Aktivitäten rund um ätzende Chlordioxid-Verbindungen. Auf seiner Webseite und in den sozialen Medien, aber auch in Büchern und Kongressen wirbt er unter anderem für das angebliche Wundermittel Mineral Miracle Supplement (MMS), welches nichts weiter ist als industrielles Bleichmittel. Bei Verschlucken der Chlorverbindungen (MMS oder Chlordioxidlösungen – CDL/CDS) drohen Schäden an Magen und Darm, einhergehend mit Übelkeit, Erbrechen und Durchfall.

 

Auch etliche Todesfälle – etwa in den USA – werden inzwischen in Verbindung mit der Einnahme von Chlordioxid gebracht, obwohl die US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDA bereits im April 2020 vor dem Bleichmittel warnte.

 

 

MMS / Chlordioxid: Die Behörde für für Arzneimittel, Lebensmittel und Technologie (ANMAT) in Argentinien warnt vor dem, was Andreas Kalcker bewirbt. (Screenshot: MedWatch)

 

 

Per Website wirbt Kalcker für MMS und dessen angebliche Wirkungen gegen das Coronavirus SARS-Cov-2. Wie der Business Insider im September 2020 schrieb, ist der gebürtige Wuppertaler und derzeitige Wahlschweizer vor allem in Südamerika sehr aktiv. Sowohl die Nationale Behörde für Arzneimittel, Lebensmittel und Technologie (ANMAT) in Argentinien als auch die Panamerikanische Gesundheitsorganisation (PAHO) warnten im August 2020 vor der Einnahme von Chlordioxid oder verwandten Stoffen wie Natriumchlorit oder Natriumhypochlorit.

 

MMS: Meldungen über Todesfälle

 

Trotzdem mehrten sich in Südamerika Meldungen von Vergiftungen und Todesfällen, nachdem Menschen zum vermeintlichen Schutz vor COVID-19 Chlordioxid eingenommen hatten. Peruanische Medien berichteten im September des letzten Jahres von zahlreichen Vergiftungsfällen in Verbindung mit Chlordioxid, ein Mann soll gestorben sein . Ein fünfjähriger Junge aus der argentinischen Provinz Neuquen soll bereits im August 2020 gestorben sein, nachdem seine Eltern ihm Chlordioxid zu trinken gegeben hatten. Ebenfalls in Argentinien, in der Provinz Jujuy, soll es einen weiteren Toten gegeben haben, einen 50-Jährigen Mann.

 

Wenige Tage, nachdem der Tod des Kindes in Argentinien bekannt geworden war, hatte ein Rechtsanwalt Anzeige gegen Andreas Kalcker und eine weitere Person bei der argentinischen Strafverfolgungsbehörde für Gesundheits- und Umweltkriminalität „Unidad Fiscal para la Investigación de Delitos contra el Medio Ambiente“ (UFIMA) erstattet (die Unterlagen liegen MedWatch vor). Er warf den beiden vor, Chlordioxid über verschiedene Kanäle mit falschen Heilsversprechen beworben sowie über eine inzwischen nicht mehr erreichbare Webseite verschiedene Chlor-Verbindungen verkauft zu haben. Daraufhin ermittelte die argentinische Bundesstaatsanwaltschaft.

 

 

 

 

 Das Magazin “El Buho” berichtet im Septemver 2020 über Vergiftungsfälle
nach der Einnahme von Chlordioxid / MMS
(Sreenshot: MedWatch)

 

 

Außer Kalcker wurde zu diesem Zeitpunkt vier weiteren Personen vorgeworfen, für den Vertrieb von Chlordioxid in Argentinien verantwortlich zu sein. Die argentinischen Staatsangehörigen hatten die Substanzen über das Internet beworben und verkauft – offenbar in Kalckers Namen. Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft hätte „diese Verbreitung dazu geführt, dass die Botschaften über die ‚Verbesserungen‘, die sich aus dem Konsum einer Substanz mit schwerwiegenden gesundheitlichen Folgen ergeben und die sogar zum Tod führen können, mit größerem Nachdruck in Umlauf gebracht worden wären.“ Der Rechtsanwalt, der durch seine Anzeige den Stein ins Rollen gebracht hatte, ist der Überzeugung, dass die Eltern des verstorbenen Kindes aufgrund der unter anderem von Kalcker verbreiteten Fehlinformationen glaubten, dass Chlordioxid ihr Kind vor COVID-19 schützen könne.

 

 

Argentinien:

Behörden erheben Anklage gegen Andreas Kalcker

 

Inzwischen sind knapp 20 Menschen beschuldigt. Neben Andreas Kalcker ist dies beispielsweise auch Luis Enrique Garcia. Er ist ein sogenannter  „Bischof“ der „Genesis II Church of Health & Healing“, die durch den Ex-Scientologen und Begründer des MMS-Mythos Jim Humble (MedWatch berichtete) begründet wurde. Anfang September, acht Monate nach Beginn der Ermittlungen, durchsuchte die argentinische Bundespolizei bei Razzien 13 Wohnungen und stellte Chlordioxid sowie weitere Substanzen sicher, berichtete das Medium Chequeado. Diese Razzien waren laut Chequeado Teil des laufenden Strafverfahrens gegen Andreas Kalcker.

 

Jetzt haben die argentinischen Behörden offiziell Anklage gegen Kalcker und die anderen Beschuldigten erhoben, wie zuerst Business Insider berichtete. Die UFIMA bestätigte auf Anfrage von MedWatch, „dass der Fall vor dem Bundesgericht für Strafsachen und Strafvollzug […] bearbeitet wird.“ Welche Punkte exakt dem Deutschen vorgeworfen werden, hat das Bundesgericht bislang nicht veröffentlicht.

 

Folgt das Bundesgericht aber den Vorwürfen der Bundesstaatsanwaltschaft, so drohen den Angeklagten bis zu 25 Jahre Gefängnis. Denn erschwerend zur irreführenden Werbung sowie zum illegalen Verkauf der Substanzen kommt hinzu, dass Menschen zu Schaden gekommen und sogar verstorben sind.

 

 

UPDATE 10. September 2021 – Eins:

 

Wir haben Andreas Kalcker mit den Vorwürfen gegen ihn konfrontiert. Er antwortet, erneut, ohne konkret auf unsere Fragen einzugehen. Seine Mail beginnt vielmehr direkt mit einer Aussage, dass in einer Autopsie, welche einem Arzt in Argentinien vorläge, in „der Blutanayse ein eindeutiger Chlormangel festgestellt !“ (sic!) wurde. Dies zeige, dass es keine Vergiftung durch Chlordioxid gegeben habe. Zudem schickt Kalker den Hinweis auf 31 Studien aus bekannten und unbekannten Journals, die sich allesamt irgendwie mit Chlordioxid beschäftigen. Diese sollen belegen, dass Chlordioxid zu 99 Prozent sicher sei. Wir werden die Angaben und Studien selbstverständlich ansehen und hierzu berichten.

 

 

UPDATE 10. September 2021 – Zwei:

 

 

 

Wie die argentinische Tageszeitung „La Nacion“ bereits am 6. September berichtete, wurde Andreas Kalcker nach einjährigen Untersuchungen unter dem Vorwurf des „Inverkehrbringens einer gesundheitsgefährdenden Substanz“ verhaftet. Dies sei aus Quellen der argentinischen Bundespolizei (PFA) berichtet wurden. „La Nacion“ erscheint in der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires und zählt zu den bedeutendsten Zeitungen des Landes, verlegt wird sie seit 1870.