kurz notiert

Argentinien ermittelt weiterhin gegen Andreas Kalcker, die Schweiz enthält sich

04.11.2021 von Nicola Kuhrt,

 

In Argentinien laufen die Ermittlungen gegen Andreas Kalcker. Er soll – auch über seine Website – das gesundheitsgefährliche Chlordioxid beworben und verkauft haben. Im Land kam es zu Todesfällen. Der gebürtige Wuppertaler lebt seit einigen Jahre in der Schweiz, dort hat er wohl keine Nachfragen zu befürchten. Kalcker selbst wirbt derweil lieber für sein neues Buch.

 

Die Ermittlungen gegen Andreas Kalcker in Argentinien laufen. Dem gebürtigen Wuppertaler und vier weiteren Menschen wird vorgeworfen, für den Vertrieb von Chlordioxid in Argentinien verantwortlich zu sein. Die argentinischen Staatsangehörigen hatten die Substanzen über das Internet beworben und verkauft – offenbar in Kalckers Namen.

 

Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft habe „diese Verbreitung dazu geführt, dass die Botschaften über die ‚Verbesserungen‘, die sich aus dem Konsum einer Substanz mit schwerwiegenden gesundheitlichen Folgen ergeben und die sogar zum Tod führen können“, mit größerem Nachdruck erfolgt. Ein Rechtsanwalt, der durch eine Anzeige den Stein ins Rollen gebracht hatte, ist der Überzeugung, dass die Eltern des verstorbenen Kindes aufgrund der unter anderem von Kalcker verbreiteten Fehlinformationen glaubten, dass Chlordioxid ihr Kind vor COVID-19 schützen könne.

 

Verhaftet wurde Andreas Kalcker, so wie es die argentinische Traditions-Zeitung „La Nation“ zunächst berichtet hatte, nicht. Während die Behörden in Argentinien ermitteln, hat er durch die Arzneimittelaufsicht in der Schweiz – Kalcker wohnt seit einiger Zeit im St. Galler Rheintal, keine Nachfragen zu befürchten.

 

„Eine Gefährdung durch die orale Einnahme von Chemikalien,
wie Chlordioxid, ist real“
(Swissmedic)

 

Auch wenn Andreas Kalcker und dessen Website bekannt sind, entfalle „eine Betrachtung nach Schweizer Heilmittelrecht“, erklärt die Schweizer Arzneimittelaufsicht Swissmedic gegenüber MedWatch. Weder die Seite Kalckers noch die darauf erwähnten Studien hätten einen Bezug zur Schweiz, weder technisch noch inhaltlich“. Auch sei es grundsätzlich nicht die Aufgabe von Swissmedic, Chemikalien zu beurteilen.

 

Aber natürlich: „Eine Gefährdung durch die orale Einnahme von Chemikalien, wie Chlordioxid, ist real, je nach Konzentration können schwere Vergiftungserscheinungen auftreten“, schreibt Swissmedic:

 

„Wenn nicht als Arzneimittel zugelassene Produkte verbotenerweise zur Vorbeugung und Behandlung von schweren/lebensbedrohlichen Krankheiten angepriesen werden, kann dies dazu führen, dass sichere und wirksame Behandlungen mit zugelassenen Arzneimitteln nicht erfolgen oder hinausgezögert werden.“

 

Theoretisch habe Swissmedic auch die Möglichkeiten, etwas gegen die Gesundheitsgefährdung der Verbraucher durch Chlordioxid zu tun. Nämlich genau dann, wenn „im Zusammenhang mit einem expliziten Angebot von Chlordioxid-Produkten Heilanpreisungen gemacht werden.“ Dann könne „einzelfallweise und unter Berücksichtigung sämtlicher Merkmale ein Verfahren nach Heilmittelrecht geführt werden.“

 

In den Swissmedic bekannten Sachverhalten werde der direkte Zusammenhang eines physischen Produktangebotes mit Heilanpreisungen tunlichst vermieden, um so einer Beurteilung nach dem Heilmittelrecht zu entgehen, erklärt ein Sprecher gegenüber MedWatch.

 

Letzter Grund der Absage: „Chlordioxidlösungen (Ausgangsstoffe zu deren Herstellung) sind als Chemikalien zu beurteilen (Chemikalienrecht) und sind somit nicht in der Zuständigkeit von Swissmedic (Heilmittelrecht).“

 

Und so agiert Andreas Kalcker ungestört weiter. Auch eine früherer Versuch deutscher Verbraucherschützer, etwas gegen die Werbung für Chlordioxid auf der Website Kalckers zu unternehmen, war fehlgeschlagen. Auf der Seite des umstrittenen Verbands Comusav, einem spanisches Kurzwort für „Global Coalition for Health and Life“, trommelt Kalcker gerade für sein neues Buch, das Anfang Dezember erscheinen soll: Darin erklärt er, wie Chlordioxid die Welt retten könnte. Es sei „wahrscheinlich die wichtigste Entdeckung in der Medizin der letzten 100 Jahre.“

 

 

Info: Was ist MMS, was Chlordioxid und CDL (engl. CDS)

 

Heute gibt es verschiedene Varianten und „Weiterentwicklungen“ des ursprünglichen MMS-Wunders. Es sind aber allesamt Chlordioxidlösungen, die als zu aktivierendes 2-Komponentenmittel (MMS) oder als bereits aktivierte gebrauchsfertige Lösung (CDL bzw. CDS, Chlordioxidlösung bzw. Chlorine dioxide solution) verkauft werden.

 

MMS ist die Abkürzung für „Mineral Miracle Supplement“. Dabei handelt es sich um eine Natriumchloritlösung (NaClO2), die mit unterschiedlichen Säuren „aktiviert“ werden kann, damit die Chlorverbindung freigesetzt wird.

 

Diese Chlorverbindung ist sowohl bei MMS als auch bei CDL/CDS gasförmiges Chlordioxid (ClO2), welches Vergiftungssymptome hervorrufen kann. Auf Haut und Schleimhaut wirkt es reizend bis ätzend. Industriell wird es als Desinfektionsmittel sowie zum Bleichen verwendet.

 

Der Verkauf von MMS (CDL) ist in mehreren Ländern Europas wie in Deutschland nicht erlaubt, im Netz wird es daher oft als Mittel zur „Wasserbehandlung“ angeboten.

 

Auch in Kanada und den USA raten die Gesundheitsbehörden ebenfalls schon lange von der Verwendung ab. Nach der Einnahme ist es zu schweren Darmdefekten gekommen, Fälle von Schmerzen, Erbrechen und Durchfall wurden bekannt. Auch mehrere Todesfälle wurden berichtet.