Corona

Kammern machtlos gegenüber impfkritischen Apothekern

 Щеплення від Корони dpa
Щеплення від Корони dpa

16.12.2021 von Nicola Kuhrt,

 

Unter Corona-Leugnern und Quarantäne-Verweigerern sind auch immer wieder Ärzte oder Apotheker. Selbst wenn diese teils sehr problematische und unwissenschaftliche Ansichten vertreten, greifen Apothekerkammern kaum ein.

 

 

Der Passant stolpert beinahe über einen Verkaufsaufsteller. Warnenden Worte sind auf DIN A4-Blätter gedruckt und hemdsärmelig hinter die vordere Trennscheibe geschoben worden. Die eigentlichen Werbe-Anzeigen für Schmerzgel und Kopfschmerztabletten blitzen seitlich hervor.

 

Südafrika

Virus (B. 1. 1. 529)

ist eine

Lüge

 

Auf der Rückseite des Aufstellers findet sich eine ganzformatige Ansage:

 

Genug ist genug.

NO

LOCKDOWN

 

 

Die Plakate stammen von keiner Querdenker-Demo. Sie stehen vor einer Apotheke im beschaulichen badischen Städtchen Lörrach im Dreiländereck Deutschland, Schweiz und Frankreich. Der Inhaber Birger Bär hat seinen Kunden mehr mitzuteilen, als individuelle Ratschläge auf ihre Fragen rund um Kreuzschmerzen, Haarausfall oder den hartnäckigen Ausschlag am Schienbein:

 

„Es gibt

VIELE  

Gründe

Sich

Nicht

Impfen

Zu lassen.“

 

…prangt etwa auf weiteren DIN A4-Blättern im Schaufenster. Darunter warnt Bär vor:

 

GEFÄHRLICHEN

NEBEN(-)?

WIRKUNGEN

 

In einer Zeit, in der sich Warteschlangen vor Hausarzt-Praxen oder wiedererrichteten Impfzentren bilden, weil sich Menschen mit einer Impfung vor dem gefährlichen Virus schützen möchten, mutet das Verhalten des Apothekers seltsam an. Gerade jetzt umso mehr, wo auch Apotheker bald gegen Corona impfen können und sollen. Sie sollen helfen, das Tempo bei den Impfungen zu erhöhen, damit mehr Menschen versorgt und geboostert werden.

 

Menschen schenken Apothekern wie Bär  aufgrund deren Berufs viel Vertrauen, ebenso Ärzten (wir berichteten). Kommen sie ihrer Vorbildfunktion nicht nach, kann ein großer Schaden entstehen.

 

Zuletzt berichtete der Bayerische Rundfunk (BR) über eine Apothekerin, die über eine impfkritische Webseite Mitarbeiter für ihre Apotheke suchte. Und auch mit der Maskenpflicht nahm es diese Pharmazeutin nicht so streng: Sie hatte im Eingangsbereich der Apotheke ein Schild aufgestellt. Der Text darauf fordert die Kunden dazu auf, sich an die gesetzlichen Bestimmungen zu halten. Darunter jedoch stand der Satz: „Sie können dieses Geschäft gegebenenfalls auch ohne Maske betreten“, berichtet der BR.

 

 

Impfkritik des Apothekers: „Die da oben“

 

Er will eine „kritische Stimme“ sein, sagt Birger Bär auf MedWatch-Anfrage. Diese vermisse er in der ganzen Berichterstattung über die Pandemie. Und ja, er sei in der Partei „Die Basis“. „Das ist eine unbelastete Partei“, erklärt Bär. „Leider haben sich bei der Wahl die altbekannten durchgesetzt. Die regieren jetzt wieder durch.“ Deshalb und wegen der „Manipulation von oben“ wolle er auch weiter laut bleiben. Und deshalb gebe er auch das Buch von Sucharit Bhakdi in seiner Apotheke ab. Auch dieser sei eine wohltuende Gegenstimme in der aktuellen Nachrichtenlage.

 

Hinweis: Sucharit Bhakdi ist ein bekannter Corona-Leugner. Zusammen mit seiner Frau hat er ein Buch geschrieben, in dem viele pseudowissenschaftliche Thesen zur Corona-Pandemie versammelt sind. Die Thesen sind längst und vielfach widerlegt.

 

Birger Bär ist längst Stadtgespräch. Etwa weil er im Sommer 2020 vom Balkon des Hotels „Dreikönig“ am Lörracher Marktplatz mit Transparenten gegen Corona-Auflagen protestierte, im November des gleichen Jahres auf einer Querdenker-Demo auftrat. Wie die Badische Zeitung berichtete, ging es um die Verabschiedung des Infektionsschutzgesetzes. Bär zog damals eine Linie zu Hitlers „Ermächtigungsgesetz“ und kritisierte den Lörracher Oberbürgermeister: „Sie eilfertiger Gefolgsmann“. Später wird Bär Mitglied der Partei „Die Basis“ und beginnt, verstärkt Protest-Plakate an und in seiner Apotheke in der Innenstadt aufzuhängen.

 

Bär weist mit vielen Ausrufungszeichen und Pfeilen auf gefährliche Nebenwirkungen der Corona-Impfstoffe hin – allerdings ohne diese Ansagen einzuordnen. Vor allem lässt er aus, dass die meisten dieser sogenannten „Side effects“ sehr selten, wenn nicht sogar sehr, sehr selten sind. In seiner Liste nennt er etwa „Anaphylaxie“. Dazu schreibt Bär: „Allergischer Schock. Kann tödlich enden. Ist bei Impfungen öfter vorgekommen.“ Weiter unten in seiner Liste nennt Bär als mögliche Nebenwirkung auch noch „Fehlgeburten“ – dass es hierzu keinerlei Belege gibt, wurde bereits mehrfach berichtet.

 

Das Paul Ehrlich-Institut, kurz PEI – zuständig für Überwachung der Sicherheit von Impfstoffen –, untersucht und berichtet regelmäßig, zu welchen Nebenwirkungen es durch Impfungen kommt und veröffentlicht dies in detaillierten Sicherheitsberichten. Die Ähnlichkeit der Nebenwirkungsliste in Bärs Schaufenster zum Inhaltsverzeichnis der PEI-Sicherheitsberichte mag Zufall sein, jedenfalls lohnt sich ein Blick in deren Inhalt. Im letzten Sicherheitsbericht des PEIs liest man etwa zu Anaphylaxie:

 

„Anaphylaktische Reaktionen sind sehr selten beobachtete Komplikationen aller vier zugelassenen COVID-19-Impfstoffe. Die Melderate einer Anaphylaxie (..) beträgt in Deutschland mit Stand 30.09.2021 [von 27.12.20, Anmerk. der Redaktion) ca. sechs Fälle auf eine Million Erstimpfungen für jeden der beiden mRNA-Impfstoffe und ca. ein bis zwei Fälle auf eine Million Zweitimpfungen. (…) Gemäß Fachinformationen der beiden mRNA-Impfstoffe und von Vaxzevria sollte Personen, die nach der ersten Impfdosis eine anaphylaktische Reaktion entwickelt haben, keine zweite Impfdosis verabreicht werden.“

 

Kein Geimpfter ist an einem anaphylaktischen Schock verstorben. Vielmehr, so heißt es im PEI-Bericht weiter:

 

Die Ergebnisse retrospektiver Studien weisen allerdings darauf hin, dass Personen, die mit allergischen Sofortreaktionen einschließlich Symptomen, die eine anaphylaktische Reaktion vermuten lassen, nach einer ordnungsgemäßen allergologischen Diagnostik gefahrlos wiedergeimpft werden konnten, da die Patienten zumeist keine echte (Immunglobulin-E-vermittelte) allergische Sofortreaktion aufwiesen.“

 

 

Die Apothekerkammern halten sich bedeckt

 

Darf Birger Bär als Pharmazeut, also als ein Mann der Wissenschaft, derart gegen Impfungen polarisieren? Wer die Aushänge an seiner Apotheke lese, bekomme einen falschen, einen verzerrten Eindruck, sagt Walter Taeschner, Sprecher des Apothekenverbands in der Region Hochrhein, der Badischen Zeitung.

 

Seine persönliche Einschätzung sei, dass Bär mit seinen Aussagen nicht den Auftrag der Apotheker erfülle: Für die Gesundheit der Menschen zu sorgen. Im Beruf sollte man sich neutral verhalten. Polemik sei nicht angebracht. „Viele Kunden regten sich darüber auf und halten es für gefährlich“, sagt Taeschner.

 

Die Landesapothekerkammer (LAK) Baden-Württemberg reagiert eher resigniert auf die MedWatch-Anfrage. Die Rechtsabteilung habe bereits in der Vergangenheit die „Vorkommnisse prüfen lassen, ob diese noch vom Grundrecht der Meinungsfreiheit gedeckt sind, oder ob hier von einem Verstoß gegen die Berufsordnung für Apotheker auszugehen ist.“

 

Mit dem Ergebnis, dass in rechtlicher Hinsicht Äußerungen, auch wenn diese im Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit als Apotheker erfolgen, noch vom Grundrecht der freien Meinungsäußerung umfasst werden und somit ein Verstoß gegen berufsrechtliche Regelungen nicht gegeben sei. Und weiter: „Die Regelungen der Berufsordnung können auch im apothekerlichen Kontext Grundrechte nicht außer Kraft setzen.“

 

In der Badischen Zeitung geben die badischen Kammer-Apotheker eine eindeutigere Aussage zu Bär ab, als sie dies gegenüber MedWatch getan haben: „Auch wenn wir die Sache inhaltlich anders beurteilen und der Vorstand der Landesapothekerkammer diese Äußerungen einstimmig missbilligt“, zitiert die Badische Zeitung die LAK. Es ist so, wie es ist.

 

Aber was sagt die Bundesapothekerkammer zu den Ereignissen im schönen Lörrach? „Apotheker:innen haben wie alle Bundesbürger das Recht auf freie Meinungsäußerung und sind gleichzeitig der Gesundheit der Patientinnen und Patienten verpflichtet“, antwortet eine Sprecherin der Bundesvereinigung deutscher Apothekerverbände (ABDA) auf MedWatch-Anfrage.

 

Im Fall rechtswidrigen Verhaltens prüfe die zuständige Apothekerkammer die Einleitung eines berufsrechtlichen Verfahrens. Im Lauf eines solchen Verfahrens würde auch die betroffene Apothekerin bzw. der Apotheker gehört werden. Die Berufsgerichte haben verschiedene Sanktionsmöglichkeiten, unter anderem können sie Rügen aussprechen oder Geldstrafen verhängen. „Uns liegt keine Übersicht dazu vor, wie oft es zu solchen berufsrechtlichen Verfahren in den einzelnen Kammerbezirken auf Landesebene kam.“

 

 

Impfkritik: Von der Meinungsfreiheit gedeckt

 

Wie handhaben es dann andere Apothekerkammern? Die Bayerische mit Sitz in München gibt uns ausführlich Auskunft: „Generell verläuft die für uns – gemäß unseren Aufgaben als Kammer – entscheidende Trennlinie zwischen privaten Meinungsäußerungen, die uns nicht gefallen müssen, die aber unter Meinungsfreiheit fallen, und der konkreten Berufsausübung“, erklärt ein Sprecher. „Dadurch, dass es aus wichtigen rechtsstaatlichen Gründen keine Beurteilung geben soll, welche Meinung denn schützenswert ist und welche nicht, sind von dieser auch ,abstruse‘ und ,abwegig erscheinende‘ Meinungen erfasst. Auch hier ist die Grenze erst erreicht, wenn Rechte Dritter verletzt werden. Deswegen wäre es auch unzulässig, die Meinungsfreiheit auf den privaten Bereich beschränken zu wollen.“

 

Kurzum: Auch von dieser Kammer wird es keine Auflagen gegen Corona-leugnende Apotheker geben.

 

Wenn aber im Einzelfall bei der konkreten Berufsausübung, etwa im Beratungsgespräch, eine persönliche Auffassung dazu führe, dass der Beruf nicht nach den anerkannten wissenschaftlichen Standards ausgeführt wird, dann sei eine Beanstandung möglich und aus Sicht der Bayerischen Apothekerkammer auch ganz klar geboten. Trotz alledem: „Falls wir etwas in Ansehung der Grundrechte nicht beanstanden, bedeutet dies nur, dass wir die Grundrechte und deren Reichweite würdigen, damit aber nicht ein bestimmtes Verhalten ,gutheißen‘. Wir sind nur rechtlich gehalten, dies nicht zu bewerten.“

In Bayern führe die Apothekerkammer kein Sündenregister und nenne insofern auch keine Zahlen. Aber Einzelfälle gäbe es. Diese würden geprüft und bei Bedarf auch sanktioniert, beispielsweise mit einer Rüge oder Geldstrafe.

 

Hat die freie Meinungsäußerung ihre Grenzen? Ist nicht irgendwann einmal ein Moment gekommen, wo der Schutz anderer doch überwiegt vor einer zu schützenden einzelnen Meinung? Ein Thema, das aktuell viele Experten umtreibt, auch in Diskussionen um eine mögliche bundesweite Impfpflicht werden stets Für und Wider bemüht.

 

 „Meinungsfreiheit ist für eine demokratische Gesellschaft unabdingbar. Sie kann aber nur bewahrt werden, wenn sie nicht andere Menschen schädigt. Daher ist das Engagement gegen gefährliche Gesundheitsinformationen auch ein Engagement für eine freie Gesellschaft“, sagte Alexander Roßnagel in der Analyse „Schlechte und gefährliche Gesundheitsinformationen – Wie sie erkannt und Patienten besser geschützt werden können“. Roßnagel ist Professor für Öffentliches Recht der Universität Kassel und einer der Experten, die an der von MedWatch im Auftrag der Bertelsmann Stiftung erstellten Studie mitgearbeitet hatten.

 

 

Nicht generell gegen das Impfen, aber …

 

Birger Bär betont, nicht generell gegen Impfungen zu sein. Er wird dennoch nicht gegen Corona impfen, auch wenn nach dem Bundestag am vergangenen Freitag der Bundesrat dem „Gesetz zur Stärkung der Impfprävention gegen COVID-19 und zur Änderung weiterer Vorschriften im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie“ zugestimmt hat. Mit seiner ablehnenden Haltung ist er nicht allein, die Gründe dürften unterschiedlich sein.

 

Wie eine Umfrage der ABDA Anfang Dezember ergab: Rund 45 Prozent der befragten Apothekerinnen und Apotheker sind grundsätzlich der Ansicht, dass „Impfungen gegen COVID-19 in Apotheken sinnvoll und umsetzbar wären“. Die grundsätzliche Zustimmung zeige sich auch in der Bereitschaft, selbst mitzuimpfen: 44,5 Prozent der Apothekenleiterinnen und -leiter gaben an, dass Impfungen gegen COVID-19 in ihrer Apotheke umsetzbar wären – vorausgesetzt, die Rahmenbedingungen stimmten. Sie bräuchten etwa zuerst eine Schulung, da sie noch nicht gegen Grippe impfen. Das berichtete die Deutsche Apotheker Zeitung online. Dennoch: 37,9 Prozent lehnen Impfungen in Apotheken generell ab. Weitere 7,7 Prozent impfen zum Beispiel bereits gegen Grippe und könnten zeitnah mit Impfungen gegen COVID-19 beginnen.